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  • AutorenbildJulian Maly

KI-Tools in der Premium-Personalberatung

(Künstliche) Intelligenz in der Premium-Personalberatung


Die aktuelle Debatte um den Einsatz von KI-gestützten Prozessen bzw. einzelner Prozessschritte macht vor beinahe keinem Berufsfeld halt. Vor allem Bereiche, in denen bis dato durch Standardisierung und Automatisierung zwar einige Effizienzpotenziale zu heben waren, aber trotz Digitalisierung kein grundlegender Paradigmenwechsel in der Arbeitsweise stattfinden konnte, rücken zusehends in den Fokus. Für unser „People Business“ bieten künstliche Intelligenz und ihre Anwendungsgebiete laut Experten hohes Potenzial und Sprengkraft zugleich. Aus meiner Sicht sind die meisten Diskussionspunkte bis dato ungeklärt – die Kluft zwischen technischen Möglichkeiten, Branchenspezifika und Anwender-Know-how ist groß.



Spezifika der Branche


Einen Überblick über die Personalberatungsbranche zu bekommen, ist aufgrund des gewerblich weitgehend unreglementierten Zugangs sowie eines besonders fragmentierten Anbietermarktes kein einfaches Unterfangen. Ich habe in den letzten 15 Jahren unzählige Diskussionen erlebt, die mit „Personalberater gibt es wie Sand am Meer“ begann und wenig schmeichelhafte Meinungen über Bedeutung und Austauschbarkeit der Unternehmen beinhaltete. Und so wie der Markt vom „Einzelkämpfer“, über kleine Boutiquen bis hin zu großen, internationalen Corporates alles hergibt ist eine Einteilung in Leistungsspektrum, -qualität und Digitalisierungsgrad anhand oberflächlicher Merkmale kaum möglich. Ein hartes Pflaster also für standardisierte Prozesse. Von weitgehend manueller Abarbeitung, über handgestrickte Prozessautomatismen, bis hin zu hochentwickelten Systemen findet man so ziemlich jede Schattierung. Die Arbeitsweise unterscheidet sich weiters nicht nur nach dem Reifegrad der Prozesse, sondern vor allem auch nach der Kommunikationstiefe zur Kundenschnittstelle, dem Einfluss auf Suchparameter sowie die Akzeptanz als (Mit-)Entscheider.


Wenn ich hier in erster Linie von meinem eigenen Unternehmen spreche, nehme ich für uns in Anspruch, dass wir in den allermeisten Fällen als echter Sparringspartner wahrgenommen werden und einen wesentlichen Impact auf Profildefinition, Suchstrategie und Besetzungsentscheidung haben. Dass dies im Vergleich zu so manchem „CV-Distributor“ mit einem Preispremium verbunden ist und dieses wiederum für die meisten Unternehmen nur bei der Besetzung von Schlüsselpositionen oder in hochkompetitiven Bewerbermärkten argumentierbar ist, liegt auf der Hand.


Somit versuche ich im Folgenden eine Einordnung aus unserer täglichen Praxis, die selbstverständlich nicht für die gesamte Branche der Recruiter, Personalberater, Headhunter und Executive Search Firms passend sein wird.



Potentielle Anwendungen in der Premium-Personalberatung


In unserem Business-Model sehe ich drei wesentliche Anwendungen KI-gestützter Prozesse:


Research & Direktansprache

Ein wesentlicher Anteil unserer Arbeit entfällt auf die Recherche, Identifikation und Ansprache interessanter Kandidaten sowie deren Information über potentiell spannende berufliche Möglichkeiten. Dabei sind dies in der Regel jene Personen, die einerseits nicht aktiv auf der Suche sind und andererseits leider inflationär bespielt werden. Somit entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines schwierigen Headhunting-Projektes Passgenauigkeit im Ident und Individualität im Approach. Beides traue ich ob der Vielfältigkeit von Jobprofilen, Werdegängen, Unternehmensstrukturen und Kulturkreisen momentan KI-Tools nicht zu. Darüber hinaus ist die Sensibilität für das Gegenüber (KI oder Mensch) in einer der ureigensten Sphären – dem beruflichen Leben – enorm ausgeprägt.

Realistisch ist, dass in absehbarer Zeit KI-Anwendungen dem Researcher zuarbeiten werden und in Form von Vorschlägen für Suchmatrizen helfen, um die Ecke du denken.


Auswahlunterstützung (Screening, Prescreening)

Die Personalauswahl ist seit jeher geprägt vom Streben nach Objektivierung einerseits und dem Baugefühl andererseits. Wie oft haben wir uns darüber echauffiert, welche Ergebnisse Black-Box-Testings auswerfen und wie oft Potenziale (aus unserer Wahrnehmung) unerkannt blieben. Wie viele Stunden habe ich mit Diskussionen verbracht, um Suchprofile weg von hard facts, hin zur Persönlichkeit zu adaptieren in dem festen Glauben, dass damit Besetzungsentscheidungen nicht nur verbessert, sondern in einigen kniffligen Fällen überhaupt erst ermöglicht werden. Und wie oft sprechen wir von Querbesetzungen, die jeder Logik entbehren, und trotzdem zum optimalen Match führen, weil wir in einer Bewerbung etwas erkannt haben, das zu einem Gutteil auf Intuition beruht.


Welchen Mehrwert könnte also KI hier bieten? Auf den ersten Blick erscheint es mir tatsächlich sehr utopisch (bzw. dystopisch), dass KI über die Eignung für eine spezielle Rolle und den Fit in ein Team entscheiden könnte. Nicht in erster Linie, weil das einen starken Impact auf unser ureigenstes Geschäftsfeld hätte, sondern vor allem weil wir seit Jahr und Tag predigen, dass Werdegänge sowie die Interpretation von Lücken und Sidesteps immer individueller werden.


Andererseits kann ich mir durchaus vorstellen, dass Warnsignale – wenn sie als das verstanden werden, was sie sind, nämlich Hinweise auf Unregelmäßigkeiten (die auch positiv sein können) – blinde Flecken in der Personalauswahl aufdecken können und so zur Entscheidungsqualität beitragen.


Support-Prozesse

Qualitätsgetriebene Recruitingprozesse zeichnen sich vor allem durch eine saubere Kommunikation und Dokumentation aus. Bewerber erwarten zu Recht eine stringente, zeitnahe und möglichst transparente Kommunikation. Diametral dagegen stehen sehr oft Ressourcenengpässe, Entscheidungsgeschwindigkeit und Vertraulichkeit. Zumindest für den ersten Punkt sehe ich ein hohes Potenzial für KI-gestützte Tools, die gerade in kleinteiliger - nicht entscheidungsrelevanter - Kommunikation über Plattformgrenzen hinweg sehr gute Dienste leisten könnten.


Risken kurzfristiger Anwendung von KI in der Personalberatung

  • Informationsbedarf und Diskretion lassen sich in der Personalberatung nur mit einer klaren Haltung und großem Aufwand im Bereich Datenschutz unter einen Hut bringen. Bereits die Verknüpfung von Daten unterschiedlicher Quellen ist ein riesiger Diskussionspunkt. Denkt man daran, dass diese nun auch noch von KI-Profiling-Tools analysiert und im Verbund dargestellt werden sollen, bin ich mir sicher, dass wir ein essentielles Vertrauensproblem bekommen.

  • Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit Gleichbehandlungsthemen. Wie können wir unabhängig bestimmter Merkmale faire Bedingungen schaffen und gleichzeitig das höchstpersönliche Recht von Unternehmern schützen, ihre Teams nach ihren eigenen Vorgaben, Wünschen und Erfahrungen zusammenzustellen. Sowohl für Bewerber als auch Personalentscheider bergen KI-automatisierte Prozesse die immanente Gefahr, dass Vorurteile systematisiert werden und wir so zu „falsch negativen“ (ungenutztes Potenzial) oder – noch schlimmer – „falsch positiven“ Entscheidungen kommen. Uns muss bewusst sein, dass eine falsche Personalentscheidungen mit enormen Opportunitätskosten (gesamt ca. 150% eines Jahresgehalts) einhergehen. Wollen wir dies in absehbarer Zukunft zu einem Großteil einer KI überantworten, die bis dato kaum oder garnichts im Bereich der Emotionalen und Sozialen Intelligenz leisten kann? Ich bin eher skeptisch…

  • Bereits heute beobachten wir eine zunehmende Sehnsucht nach externer Legitimation von Personalentscheidungen gegenüber verantwortlichen Gremien. Damit einhergehend sehen wir allerdings das Problem, dass mutige Entscheidungen „out of the box“ immer seltener ausgefochten werden und wir uns sehr häufig mit einer Sicherheitsvariante anfreunden müssen, die keine von beiden Seiten glücklich macht. KI-gestützte Entscheidungen haben das Potenzial, diesen Trend zu verfestigen. Welcher Middle Manager möchte sich schon im Nachhinein von seinem CEO sagen lassen: „Hätten Sie doch bloß auf die KI gehört!“

  • Entscheidungen zu übernehmen, zuzulassen und zu unterstützen - dort wo sie auch umgesetzt werden müssen - ist ein wesentlicher Bestandteil moderner Leadership-Theorie. Eine Entmachtung dieses Primats der Entscheidung an Ort und Stelle finde ich nicht nur hinsichtlich Qualität, sondern vor allem hinsichtlich Verantwortlichkeit, Motivation und Identifikation gefährlich.


Ich bin kein Technologieskeptiker, sondern würde mich als Digital Native und Early Adopter in Hinblick auf Trends beschreiben. Und trotzdem kann ich mir eine Integration von KI-Tools an entscheidenden Stellen unserer Dienstleistung über Support-Prozesse hinausgehend derzeit nicht vorstellen bzw. denke ich, dass unsere Stakeholder das auch nicht wollen würden. Vielleicht ändert sich das mit positiven Beispielen in den nächsten Monaten oder Jahren. Meiner Einschätzung nach ist die derzeitige Diskussion allerdings sehr oberflächlich, denn ich habe bis dato noch keine für Laien nachvollziehbare Darstellung gefunden, welche Entwicklungsgeschwindigkeit zu erwarten ist und wie der rechtliche – ganz zu schweigen von einem auf ethischen Überlegungen basierende gesellschaftliche – Rahmen definiert wird.



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