Vom Headhunter zum Talent Engineer
- Julian Maly
- 23. März
- 5 Min. Lesezeit
Eine KI-Zeitreise ins Jahr 2050
Headhunting im Jahr 2050 – Ein Tag als Talent Engineer
Es ist kurz vor sieben Uhr morgens an einem Sommertag im Jahr 2050. Mein Smart-Wecker hat mich sanft mit den Nachrichten geweckt, während draußen bereits flimmernde Hitze über den Dächern von Wien liegt. Der Klimawandel ist längst spürbarer Alltag – schon so früh hat es über 30 °C, und die Stadt hat lärmarme Kühlnebel-Sprinkler an den Straßenlaternen aktiviert. Die Klimawende wurde zwar letztlich eingeleitet, aber viel zu spät. Jahrzehntelanges Zögern hat dazu geführt, dass sich das Weltklima nur langsam stabilisiert. Extremwetter, Hitzewellen und ökologische Kipppunkte begleiten unseren Alltag bis heute. Wien hat als eine der ersten Städte Europas auf radikale Klimaanpassung gesetzt – mit gekühlten Zonen, grüner Infrastruktur und automatisiertem Energiemanagement.
Im Bad erinnert mich der Spiegel, ein intelligenter Assistent, an meinen Tagesplan: Kundenmeetings, ein Interview mit einer Kandidatin und abends das gemeinsame Kochen.
Meine Kinder sind längst erwachsen – beruflich in der Welt verteilt, aber dank AR-Connect täglich präsent. Heute Morgen schickt mir mein Sohn eine Sprachnachricht aus Singapur – er ist dort als Innovationsberater tätig und berichtet von einem neuen Projekt zu Biointelligenten Materialien. Ich antworte ihm mit einer kurzen Video-Notiz, während ich in der Küche einen Kaffee zubereite.
Elena, meine persönliche KI-Assistentin, fragt, ob sie schon mal die autonome Kapsel rufen soll. Kein Verkehr, kein Stress – sie ist mein mobiles Büro. Während die Kapsel lautlos durch die Stadt gleitet, projiziert das AR-Display aktuelle Talentbewegungen und mein Tagesbriefing auf die Fensterscheibe.
Wie sich Headhunting seit 2025 verändert hat
Vor 25 Jahren war Recruiting noch deutlich manueller: PDF-Lebensläufe, klassische Bewerbungsgespräche, Jobanzeigen auf Plattformen. Heute besitzt jeder Mensch ein dynamisches Skill-Profil, das sich in Echtzeit aktualisiert. Unternehmen definieren keine klassischen Stellen mehr, sondern Problemstellungen. Unser Neural Matchmaking System schlägt innerhalb von Sekunden Talente vor, die nicht nur fachlich passen, sondern auch kulturell, kognitiv und motivatorisch.
Wir nutzen Predictive Career Models, die auf neuronalen Mustern, Interessenverläufen und Kompetenzsimulationen basieren. Meine Aufgabe? Den Maschinen die Menschlichkeit zurückzugeben – Potenziale erkennen, Ambivalenzen verstehen, Entscheidungen vorbereiten.
Morgens im Büro – Ein hybrides Team
In unserer Sky-Lounge im 45. Stock eines Holz-Hochhauses treffen wir uns hybrid. Zwei Kolleg:innen physisch, drei per HoloMeet zugeschaltet. Mit dabei: unsere KI-Kollegin Lisa, eine lernende Assistenz, die Marktbewegungen analysiert. Nina, unsere „Skill Architect“, spricht über den Bedarf an Neuro-UX-Designern. Mehmet, Diversity Engineer, verweist auf einen Trend im Wellbeing-Sektor.
Plötzlich blinkt ein privater Hinweis auf: Meine Enkelin braucht Hilfe mit ihrem Schulprojekt. Ich schalte kurz um, bespreche mit ihr eine holografische Darstellung erneuerbarer Energien. Sie besucht eine adaptive Lernakademie, in der Lernwege individuell durch KIs gestaltet werden.
Der erste Auftrag – Urban Climate Adaptation
Mein erster Auftrag: Ein Klimatech-Startup sucht Verstärkung im Bereich Urban Climate Adaptation. Früher hätte man einen Umweltingenieur gesucht – heute geht es um smarte Gebäudebegrünung, KI-gesteuerte Stadtplanung, Resilienzarchitektur. Der CTO ist per Hologramm zugeschaltet. Während er spricht, markiert meine Assistentin automatisch Schlüsselkompetenzen: Hochwasserschutz, Pflanzenlogistik, Climate-Simulations-Erfahrung.
Ich frage ihn nach dem Arbeitsmodell – natürlich: remote, asynchron, ohne klassische Hierarchien. Standort ist irrelevant. Wir erinnern uns beide schmunzelnd an die Homeoffice-Debatten der 2030er.
Routinen, Technologien & Zwischenfälle
Zwischendurch bringt mir ein Service-Roboter aus dem Gebäude eine personalisierte Zwischenmahlzeit – laut meiner Gesundheits-KI fehlt mir heute Magnesium. Ich danke ihm, doch als ich den Snack annehme, stürzt der Roboter plötzlich. Ein kurzer Software-Bug, den meine KI direkt meldet. Noch bevor ich mich bücken kann, repariert sich der Roboter durch ein selbstlaufendes Diagnosetool. Ich muss lachen – auch 2050 ist Technologie nicht immer perfekt.
Kurz darauf stürzt mein AR-Interface ab. Für wenige Minuten bleibt die Oberfläche schwarz, während ich gerade eine Kandidatin begutachte. Ich improvisiere, greife auf mein Backup-HoloPad zurück – ein analog-digitaler Notfallmodus, den ich nur selten nutze. Die KI entschuldigt sich automatisch bei mir und offeriert als kleine Geste eine „kognitive Pause“: ein fünfminütiges Naturklang-Erlebnis mit Blick auf einen virtuellen Wasserfall. Ich lehne dankend ab – keine Zeit für Entspannung heute.
Fragmentierte Karrieren, neue Währungen
Ich telefoniere mit Samantha, einer Kandidatin, deren Skill-Portfolio beeindruckend ist: Sie hat zwölf Arbeitgeber gehabt, war Coachin, Gründerin, Freelancerin. Früher hätte das unstet gewirkt. Heute? Ein Plus. Sie nutzt SkillChain, monetarisiert ihr Wissen in Echtzeit. Jede Woche KI-Coaching, abgerechnet per Smart Contract.
Ich frage, ob eine Festanstellung infrage käme. Ihre Antwort: „Nur, wenn ich meine Skills weiter frei vermarkten kann.“ Verträge sind heute modular: Anteil Festgehalt, Anteil Umsatzbeteiligung pro eingebrachtem Wissen. Ich mache mir eine Notiz – der Kunde sollte flexibel sein.
Zwischenfälle in Wien
Mittags gehe ich zum Donaukanal, einer gekühlten Zone. Keine Autos, nur Fußgänger, vertikale Gärten, Drohnen liefern Essen. Ich treffe meinen Kollegen Tom. Er erzählt mir von Cognitive Freelancern, die per Projektvertrag Wissen verkaufen – für eine Stunde, für eine Woche, global.
Während wir reden, ruft mein Enkelsohn an – Quantenphysik-Projekt in seinem virtuellen Labor. Ich helfe kurz, leite ihn dann an einen Tutor-Bot weiter. Familie und Arbeit sind eins geworden – verbunden über smarte Interfaces.
Dann: Solar-Overload. Die Stadt wechselt automatisch auf Schattenstrom und reguliert die Energieflüsse. Alles geht weiter. Ein normaler Tag.
KI-Personas und die neue Wahrheit
Später erzählt mir ein Kollege, dass ein Bewerber durch die Vortests gekommen war – aber im Gespräch nicht mithalten konnte. Grund: Die Tests wurden von seiner KI-Persona absolviert. Täuschung? Vielleicht. Oder einfach ein Zeichen dafür, wie fluide Identität geworden ist. Wir arbeiten mit neuen Prüfmechanismen: Anekdoten, spontane Reaktionen, Mikroausdrücke. Menschlichkeit ist schwer zu fälschen.
Memory Curator & KI-Coaching – Neue Berufsbilder
Nachmittags rekrutiere ich für eine ganz neue Aufgabe: Memory Curator. Jemand, der Erinnerungen digital konserviert. Kandidaten wie Marco, ein Historiker, der mit KI Geschichten erzählt, werden hoch gehandelt. Ein anderer Fall: Ein Personality Recovery Specialist. Er hilft Führungskräften, ihr digitales Selbst zu pflegen – Authentizität im Zeitalter der Avatare.
Sein Avatar empfängt mich im Meeting, doch ich bitte um einen echten Blickkontakt. Er lacht, zeigt sich – und erzählt, wie er einem CEO nach einem Cyberangriff dessen Identität rekonstruierte. Ich bin beeindruckt. Fragmentierte Karrieren, hybride Skills, echte Motivation. Ich setze ihn ganz oben auf die Liste.
Evening Mode – Fokus auf das Wesentliche
Am späten Nachmittag aktiviere ich den „Evening Mode“. Meine KI filtert nun alle nicht dringlichen Anfragen heraus. Nur, was heute wirklich noch wichtig ist, kommt durch: ein kurzes Update zu einem sensiblen Kandidatenwechsel, eine Terminanfrage für morgen früh und eine Erinnerung an das Kochen zu Hause. Alles andere wird verschoben.
Feierabend – Menschlichkeit bleibt
Als ich am Abend nach Hause komme, hat sich die Hitze des Tages langsam zurückgezogen. Die Stadt atmet durch. Ich öffne die Terrassentüren, lasse kühle Luft herein und höre in der Ferne das Summen der Drohnen über der Altstadt.
Meine Frau – sie ist Medienarchäologin – sitzt im Wohnzimmer und zeigt mir stolz ein altes digitales Kunstwerk, das sie aus einer vergessenen Plattform von 2023 restauriert hat. Wir stoßen mit synthetischem Weißwein an – ein Geschenk von Freunden aus Zürich.
Später am Abend schalte ich den „Hausmodus“ auf Gemütlichkeit. Gedimmtes Licht, leiser Jazz, der Geruch von frisch gedrucktem Papier aus einem Retro-Buchdrucker, den ich zum Geburtstag bekommen habe. Mein Blick fällt auf das Stadtpanorama: sanft leuchtende Dächer, leise schwebende Kapseln, grüne Kuppeln, die das Stadtklima stabilisieren.
Ich denke an den Tag zurück: an Skill-Wallets, KI-Interviews, digitale Avatare – und doch ist alles Entscheidende gleich geblieben. Ich bringe Talente mit Chancen zusammen. Ich erkenne Potenziale. Ich bleibe neugierig. Ich bleibe menschlich.
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