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Trends im Recruiting 2. Halbjahr 2025

  • Autorenbild: Julian Maly
    Julian Maly
  • vor 21 Stunden
  • 7 Min. Lesezeit

Das zweite Halbjahr 2025 ist geprägt von der Mammutaufgabe, Fachkräftemangel, demografische Verschiebungen und technologische Einflüsse in eine schlüssige Recruiting-Strategie zu übersetzen und diese unter teils besonders herausfordernden Rahmenbedingungen in puncto Budget, Ressourcen und wirtschaftlicher Unsicherheit operativ zu exekutieren.

 


Dauerbrenner Fachkräftemangel


Der Fachkräftemangel bleibt auch im 2. Halbjahr 2025 eines der drängendsten Themen am Arbeitsmarkt. Auffallend ist, dass sich die Engpässe an Funktionen orientieren und quer über alle Levels ziehen.


Hauptursache ist der demografische Wandel: Die Babyboomer-Generation verabschiedet sich in den Ruhestand, während zu wenige junge Arbeitskräfte nachrücken. Diese Entwicklung verringert langfristig das Arbeitskräfteangebot und birgt erhebliche Risiken, wobei gleichzeitig das Ausmaß des Potenzials an Produktivitätssteigerung durch Automatisierung/Robotik/AI nur schwer vorauszusagen ist.


Auch wenn sich die Fachkräftelücke seit 2024 leicht verringert hat – sobald eine stärkere konjunkturelle Erholung einsetzt, rechnen wir mit einem Rebound-Effekt. Hinzu kommt: Im MINT-Sektor klafft eine besonders große Lücke. Und der Bedarf an digitalen Skills ist mittlerweile voll in der Breite der Berufsfelder angekommen und betrifft somit (beinahe) alle Branchen.


72 % der Betriebe in Österreich erwarten in den kommenden zwei Jahren eine generelle Verschärfung der Personalengpässe.



Veränderte Entscheidungsprozesse


Die Besetzung von Schlüsselpositionen unterliegt 2025 klar veränderten Entscheidungszyklen in Unternehmen. In vielen Fällen hat sich die Dauer der Stellenbesetzung zuletzt verlängert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Fachkräftemangel reduziert die Zahl geeigneter Bewerber, gleichzeitig sind die Anforderungen an Skills und Cultural Fit gestiegen. Unternehmen nehmen sich mehr Zeit für Entscheidungen.


Allerdings gibt es auch einen gegenläufigen Druck: In hart umkämpften Talentmärkten kann eine zu lange Entscheidungsdauer dazu führen, dass Wunschkandidaten abspringen. Gerade bei gesuchten Spezialisten gilt es, den Balanceakt zu meistern zwischen sorgfältiger Prüfung und zügiger Entscheidungsfindung. Einige Unternehmen reagieren darauf, indem sie ihre internen Prozesse optimieren – z. B. parallelisierte Interviewrunden, schnelleres Einholen von Entscheider-Voten oder den verstärkten Einsatz von Talent Pools, um vakante Stellen aus einem bestehenden Kandidaten-Netzwerk schneller nachzubesetzen.


Insgesamt lässt sich beobachten, dass Entscheidungen zur Besetzung von Schlüsselrollen strategischer getroffen werden: Mehr Stakeholder (Fachbereich, HR, Geschäftsleitung) sind eingebunden, mitunter wird externes Assessment hinzugezogen, und man ist vorausschauender im Succession Planning. Für C-Level-Entscheider bedeutet das, frühzeitig Talent-Identifikation zu betreiben, um im Bedarfsfall keine allzu langen Vakanzen entstehen zu lassen.



Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Markt


Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist in einer interessanten Phase. Die Great Resignation der Post-Pandemie-Zeit ist zuletzt abgeflacht, die Kündigungsbereitschaft sank und die Verhandlungsmacht der Beschäftigten relativierte sich. Gleichzeitig haben sich die Prioritäten verschoben: Aspekte wie Work-Life-Balance oder maximal hohe Gehaltsforderungen treten etwas in den Hintergrund, wichtiger ist ein sinnstiftender Job mit Zukunftsperspektive. Dieser Trend hängt stark mit der aktuellen Konjunkturlage zusammen.


Allerdings ist diese Entwicklung über Branchen hinweg und auch regional sehr unterschiedlich. In Sektoren mit extremer Knappheit haben qualifizierte Fachkräfte weiterhin eine sehr starke Position. Hier müssen Firmen nach wie vor um Kandidaten kämpfen, schnelle Angebote vorlegen und zügig einstellen, um Vakanzen in annehmbaren Zyklen besetzen zu können. Auch Top-Talente und Führungskräfte haben nach wie vor Verhandlungsspielraum, vor allem wenn sie gefragte Fähigkeiten mitbringen.


Die aktuelle Lage kann daher am ehesten als “gemischtes Bild” beschrieben werden. Aus Arbeitgebersicht bedeutet dies, die eigene Verhandlungsposition realistisch einzuschätzen. In etwas entspannteren Arbeitsmärkten können Unternehmen wieder vermehrt Kriterien aufstellen und bei Gehaltsverhandlungen moderater agieren. Dennoch: Sobald die Konjunktur anzieht, wird der Arbeitnehmermarkt rasch zurück sein. Die demografische Knappheit sorgt dafür, dass gut ausgebildete Kräfte strukturell rar bleiben. Clevere Arbeitgeber nutzen daher gerade die momentane Phase, um Employer Reputation und Mitarbeiterbindung zu stärken. Wer jetzt in Mitarbeiterentwicklung, Purpose und ein gutes Betriebsklima investiert, kann im nächsten Aufschwung als attraktiver Arbeitgeber punkten.

Wir befinden uns an einem Wendepunkt, in dem bereits eine Rückkehr zu konjunkturellen Wachstumsraten zwischen 1 und 2 % den strukturellen Fachkräftemangel wieder in einen „war for talents“ verwandeln.

 

Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung


Technologische Einflüsse verändern den Arbeitsmarkt fundamental. Unternehmen suchen nach wie vor nach langfristigen Lösungen für das Zusammenspiel von Remote, Hybrid und Präsenzarbeit. Viele Organisationen überlegen, ob sie dauerhaft Remote-Work als Benefit anbieten oder stärker ins Büro zurückkehren – eine Frage, die auch Auswirkungen auf das Recruiting hat. Arbeitgeber, die flexibles Arbeiten ermöglichen, können auf einen größeren Talentpool zugreifen, da geografische Barrieren fallen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels verschafft das einen Vorteil: Qualifizierte Kandidaten können verstärkt länderübergreifend rekrutiert werden, etwa ein österreichisches Unternehmen, das Fachkräfte aus Deutschland oder der Schweiz remote beschäftigt.


Allerdings steigen damit Konkurrenz und Anforderungen an die digitale Rekrutierungsinfrastruktur – von virtuellen Vorstellungsgesprächen bis zum „blended onboarding“. Gleichzeitig tauchen laufend neue Tools und Plattformen auf, die das Recruiting selbst effizienter gestalten sollen. Die Generation Z, die bis Ende 2025 etwa ein Drittel der Erwerbstätigen ausmacht, ist besonders tech-affin. Sie erwartet schnelle, digital gestützte Bewerbungsprozesse – von mobil optimierten Karriere-Webseiten bis hin zu Videointerviews und Chatbot-Kommunikation.


Die Herausforderung: Jüngere Kandidaten sind zwar digital versiert, verlangen auf der anderen Seite aber wieder stärker nach zwischenmenschlichem Erleben. Personalentscheider müssen daher den Spagat schaffen zwischen effizienter Digitalisierung und persönlicher, generationengerechter Ansprache.



Headhunting: Neue Anforderungen, neue Methoden


Der Headhunting Markt durchläuft 2025 ebenfalls einen Wandel. Die Besetzung von Führungspositionen verschiebt sich besonders zugunsten von Skill- und Potenzial-orientierten Kriterienkatalogen. Hintergrund ist, dass durch die Pensionierungswelle erfahrener Babyboomer immer weniger klassische Lebensläufe mit Jahrzehnten an Führungserfahrung verfügbar sind. Unternehmen öffnen daher die Türen für „Emerging Leaders“ - jüngere Talente mit spezialisierter Expertise - und auch Quereinsteiger mit übertragbaren Kompetenzen. Entscheidend sind Zukunftskompetenzen wie Agilität, Innovationsfähigkeit und moderne Führungsqualitäten. Diese Neuorientierung erweitert den Kandidatenpool und fördert gleichzeitig die Diversität in Chefetagen. So kann z. B. eine Digitalexpertin aus dem Start-up-Umfeld künftig eine Managementrolle in einem traditionellen Unternehmen erhalten, wenn sie die richtigen Fähigkeiten mitbringt – auch OHNE jahrelange Konzernerfahrung.


Neben dem Skill-Shift beeinflussen technologische Hilfsmittel die Arbeit der Headhunter. Die Integration von KI in den Executive-Search-Prozess ist seit Ende 2024 ein großes Thema. Künstliche Intelligenz kann helfen, schneller geeignete Führungskräfte zu identifizieren, indem sie große Talentpools nach passenden Profilen durchsucht und erste Einschätzungen über „Cultural Fit“ liefert. Routineaufgaben wie das Verfassen von Stellenprofilen oder Erstscreenings werden vermehrt automatisiert, wodurch Berater mehr Zeit für den persönlichen Beziehungsaufbau mit Kandidaten gewinnen. Allerdings bleibt das Urteilsvermögen erfahrener Personalberater unersetzlich – KI wird als Unterstützung gesehen, nicht als Ersatz.


Ein weiterer Trend ist die anhaltende Bedeutung von Diversität und Wertepassung bei Top-Positionen. Unternehmen achten stärker darauf, Führungskräfte zu rekrutieren, die Unternehmenskultur und CSR-Ziele mittragen und transportieren. Dies stellt neue Anforderungen an Headhunter, da weiche Faktoren und persönliche Überzeugungen der Kandidaten stärker geprüft werden.


Parallel steigt die Nachfrage nach Interim-Executives: In Zeiten von Unsicherheit (wirtschaftliche Stagnation, Transformation) setzen viele Firmen auf Interim Manager, um Lücken in Schlüsselpositionen kurzfristig zu schließen. Die Interim-Branche verzeichnet in DACH steigende Auslastung.


Insgesamt bewegt sich die Branche weg von rein klassischen Auswahlverfahren hin zu einem ganzheitlichen Beratungsansatz: Headhunter agieren als strategische Partner, die ihren Klienten bei Talentpipelining, Employer Reputation und Talent Management beraten, um die Führungskräftegewinnung und -retention nachhaltig erfolgreich zu gestalten.

 


Innovative Ansätze: KI, Talent Intelligence und mehr


Angesichts der genannten Herausforderungen setzen immer mehr Unternehmen auf neue Ansätze im Recruiting, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zentral dabei ist der (granulare) Einsatz von Künstlicher Intelligenz in verschiedenen Phasen des Einstellungsprozesses: Automatisierte CV-Screening-Programme durchforsten Bewerberdatenbanken in Sekunden nach passenden Qualifikationen, moderne Matching-Algorithmen beziehen nicht nur Schlagwörter ein, sondern analysieren Fähigkeiten, Erfahrungen und sogar Persönlichkeitsmerkmale, um eine bessere Passung zwischen Kandidat und Stelle zu prognostizieren. Diese AI-driven Matching‑Tools gehen weit über herkömmliche Keyword-Filter hinaus und versprechen, Qualität und Geschwindigkeit bei der Kandidatensuche zu erhöhen. Ergänzend kommen Chatbots zum Einsatz, die Bewerbern erste Fragen stellen oder den Status ihrer Bewerbung mitteilen – das verbessert die Candidate Experience und entlastet HR-Teams.


Ein weiteres Feld sind Videointerview-Plattformen mit KI-gestützter Sprachanalyse, die helfen sollen, kommunikative Kompetenzen oder Soft Skills zu erkennen. Obwohl solche Technologien noch in den Kinderschuhen stecken, experimentieren Vorreiter damit, um objektivere und schnellere Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist jedoch, den Aspekt Ethik, Persönlichkeit und Fairness im Blick zu behalten: Algorithmen sind Bias-anfällig. Daher setzen viele Unternehmen auf einen augmentierten Ansatz, bei dem KI die Vorauswahl unterstützt, die finale Entscheidung aber Menschen treffen – so wird KI zur Assistenz, nicht zum Ersatz.


Neben KI rückt der Begriff Talent Intelligence in den Fokus. Dahinter steckt der datengetriebene Blick auf Talente – intern wie extern. Unternehmen sammeln und analysieren systematisch Daten über die eigenen Mitarbeiter (Skills, Leistungen, Entwicklungspotenzial) sowie über den externen Arbeitsmarkt (Verfügbarkeit von bestimmten Profilen, Gehaltsbenchmarks, regionale Unterschiede). Mithilfe von Analytics-Tools und Marktdaten können HR-Abteilungen Skill-Gaps identifizieren und zukünftigen Personalbedarf prognostizieren. Zum Beispiel lässt sich erkennen, welche neuen Kompetenzen durch Trends wie KI oder Nachhaltigkeit gefragt sein werden und ob diese intern aufgebaut werden können oder am Markt rar sind. Talent Intelligence Plattformen – oft unterstützt von KI – kombinieren interne HR-Daten mit Echtzeit-Arbeitsmarktdaten und liefern strategische Entscheidungshilfen, etwa wo man am besten nach bestimmten Experten sucht oder wie attraktiv das eigene Vergütungspaket im Vergleich zum Markt ist. Dieser evidenzbasierte Ansatz erlaubt es, Recruiting-Strategien vorausschauend auszurichten.


Ein weiterer innovativer Ansatz ist Remote-Recruiting 2.0 – die Weiterentwicklung des digitalen Rekrutierens. 2025 geht es darum, Prozesse zu verfeinern und langfristig zu integrieren. Remote-Recruiting 2.0 bedeutet z. B., virtuelle Assessment-Center durchzuführen, bei denen Kandidaten ortsunabhängig in simulierten Szenarien zusammenarbeiten. Auch Virtual Reality (VR) hält Einzug: Erste Unternehmen ermöglichen Bewerbern mittels VR-Brillen einen virtuellen Rundgang durch die Firma oder ein erlebbares Preview des Arbeitsplatzes. Zudem etabliert sich die asynchrone Kommunikation stärker im Recruiting – etwa zeitversetzte Video-Fragen, die Bewerber per Videoantwort beantworten können, wann es ihnen passt. Das beschleunigt den Prozess, weil nicht mehr alle Beteiligten gleichzeitig Zeit finden müssen.


Remote heißt heute auch international: Unternehmen sichten vermehrt internationales Talent, um Mangelprofile zu besetzen, und richten ihre Prozesse darauf aus (mehrsprachige Karriere-Websites, internationale Interview-Slots, Relocation-Services). Diese Entgrenzung des Recruitings erhöht zwar den Wettbewerbsdruck, schafft aber auch neue Chancen, freie Stellen mit den Best-Fit-Kandidaten unabhängig vom Standort zu besetzen.


Zu den neuen Matching-Algorithmen zählt schließlich alles, was mit kognitiver Diagnostik und Cultural Fit zu tun hat. Einige HR-Tech-Anbieter setzen auf Persönlichkeitstests und Werte-Matching, um sicherzustellen, dass Kandidaten auch kulturell ins Unternehmen passen. Moderne Systeme können z. B. anhand von Textantworten oder spielerischen Online-Tests Rückschlüsse auf Teamorientierung, Kreativität oder Stressresistenz ziehen. In Kombination mit klassischen Kriterien ergibt sich ein ganzheitlicheres Bild vom Bewerber.


Auch Gamification-Elemente werden genutzt – etwa Online-Challenges oder Hackathons als Auswahlverfahren, die zugleich die Employer Reputation und das langfristige Bonding stärken.


Nicht zuletzt könnten Large Language Models vermehrt zur Wissens- und Kompetenzprüfung eingesetzt werden, indem Kandidaten in Interviewsituationen mit KI-generierten, situativen Fragen konfrontiert werden, die auf die Stelle zugeschnitten sind.


Für Entscheider und HR-Manager heißt es, diese neuen Ansätze kritisch zu prüfen und gezielt einzusetzen. Viele Innovationen versprechen Effizienz und bessere Matches, erfordern aber Investitionen und Change Management, um sie erfolgreich in bestehende Prozesse zu integrieren. Wer früh lernt, KI und Datenanalyse im Recruiting zu meistern, wird in den kommenden Jahren einen strategischen Vorsprung im Kampf um Talente haben.


Die Richtung ist klar: Das „Bauchgefühl“ wird durch einen technologie- und informationsgetriebenen Prozess ergänzt – ohne den Menschen aus der Gleichung zu nehmen, aber mit deutlich erweiterten Werkzeugen.



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